Professor August Neander

Johann August Wilhelm Neander war am 17. Januar 1789 zu Göttingen als David Mendel (von jüdischen Eltern) geboren. Frühzeitig nach Hamburg gekommen, besuchte er das Johanneum daselbst, wo er eine glänzende Prüfung bestand und am 30. April 1805 eine lateinische Abschiedsrede hielt. Bereits im Gymnasium hatte er die Wahrheit des Evangeliums erkannt, dessen göttliche Kraft erfahren, und am 15. Februar 1806 bekannte er Christum öffentlich in der St. Katherinenkirche zu Hamburg. Bei seiner Taufe nahm er den Namen Neander (neuer Mensch) an, und wahrlich, sein Leben bewies, daß er durch Christum ein “neuer Mensch” geworden war.

Er studierte hierauf Theologie, ließ sich 1810 in Heidelberg als Privatdozent nieder, wo er im folgenden Jahre Professor wurde. Bereits im Jahre 1813 wurde er auf Anraten seines früheren Lehrers Schleiermacher als Professor Kirchengeschichte an die Berliner Universität berufen.

Neanders Liebe umfaßte die ganze Menschheit. Wahrheit und Gerechtigkeit waren sein einziges Ziel. Jesus Christus war ihm die höchste Offenbarung eines heiligen und barmherzigen Gottes, die Quelle der Erlösung und des Heils der Welt, so wie die Zentralsonne der Geschichte und das innerste Heiligtum des sittlichen Universums.

In der Kirchengeschichte erblickte er das Walten Christi und zeigte, daß sie “ein fortgesetzter Kommentar über das Gleichnis vom Sauerteige sei, der allmählich die ganze Masse des Menschengeschlechts durchdringt.” Durch ihn ist die Kirchengeschichte zu einem Buche der Belehrung und der Erbauung, ein lieblicher Gottesgarten geworden. Daher ist er auch mit Recht der Kirchenvater des achtzehn-Jahrhunderds genannt worden.

Auch “ein Leben Jesu” besitzen wir von ihm, das beste auf diesem Gebiete. Aber wie er in seiner Vorrede zu diesen Werke sich die Worte von Anna Maria von Schurmann zu eigen macht, daß das Leben der Christen das beste Bild des Lebens Christi sei, so hat er es redlich versucht, dem hohen Vorbilde nach zu leben. Und durch Gottes Gnade ist es ihm trefflich gelungen.

Er hatte stets einen offenen Blick für die Schäden und Vorzüge, er interessierte sich für alles, und ein jeder fand bei ihm das rechte Word des Trostes, der Ermahnung und der Aufmunterung. Seine Freunde suchten ihn gerne auf; denn sie fanden oft in seinen Worten den Faden, den sie bei der Abfassung ihrer Werke verloren. Seine Studenten liebten ihn wie einen Vater. Und wieviele kamen in sein Haus, um für ihren Geist etwas zu empfangen!

In der Tat war sein Verkehr – obwohl er nie verheiratet war und bis zu seinem Tode mit seiner Schwester Hanna lebte – ein familiärer. Er hatte für jedermann ein offened Ohr und wußte einem jedem zu raten. Aber schon der Blick in sein Privatleben mußte seinen Besuchern zeigen, was es heißt, Christi Eigentum zu sein. So ist er vielen ein Wegweiser geworden auf dem Wege, der zum ewigen leben führt. Man empfand es deutlich, daß sein einziger Wunsch es war, nichts in sich selbst, sondern alles in und durch Christus zu sein. Deshalb war ihm, dem Professor, das Christentum nicht ein Lehrsystem, sondern ein neues Leben, eine erlösende Gotteskraft.

So hatte Sein Frömmigkeit ihre Wurzeln in der Person Chrsti und in Seinem Evangelium; Christus bildete den Grund seiner Theologie, und darin lag der unwiderstehliche Reiz seiner Vorlesungen für jeden ernst gestimmten Schüler und der erbauliche Charakter aller seiner Schriften. Aber Christus war auch sein Lebensideal, von Ihm sprach er zu jedermann, von Ihm, “von dem all gut Gabe kommt, und der dem zerknirschten, bedrängten Herzen stets nahe zu sein verheißen hat.” Deshalb fordert er seine Freunde auf, “statt ihren Gedanken nachzugehen, kindlich sich Jesu hinzugeben und von Ihm sich leiten zu lassen”. In einem seiner Briefe lesen wir: “Gott hat Sie ja also geliebt, daß Er Seinen eingeborenen Sohn für Sie hingegeben hat, um Ihnen das ewige Leben, das Ihnen so unumstößlich gewiß ist, zu schenken. Er hat Seinen einigen Sohnes nicht verschont, sondern für Sie Ihn hingegeben, wie sollte Er Ihnen mit Ihm nicht alles schenken? Wer kann Sie verdammen, da Christus für Sie gestorben ist und zur Rechten Gottes Sie vertritt? … Das sind nicht meine Worte, sondern Worte Gottes, des Allmächtigen, unmittelbar an Sie gesprochen durch die Heilige Schrift … “. Aber nicht allein sprach Neander in dieser Art, er handelte auch stats nach dem Worte Seines Meisters. Bescheiden lebt er mitten in dem Trubel der Großstadt; aber er trat stets bereitwillig an die Öffentlichkeit, wenn es galt, die heilige Sache zu unterstützen. So hielt er mehrere Vorträge zur Förderung der Zwecke der preußischen Bibelgesellschaft; nach Kräften unterstützte er die Heidenmission und wohltätige Anstalten. Ein jeder durfte sich vertrauensvoll an ihn wenden, und hatte er selbst gerade Mangel, so ergriff er ein wertvolles Buch, um es für den Bittenden zu versetzen.

Als in Hamburg 1842 bei der bekannten Feuersbrunst ein großer Teil der Stadt niederbrannte, sandte er 1000 peußische Taler zur Unterstützung der Notleidenden. Und vieles hat er getan, was niemals an die Öffentlichkeit getreten ist und vielleicht niemals bekannt werden wird. Dürfen wir uns da wundern, wenn alle, die mit ihm in Berührung kamen, ihm liebten und verehrten?

Seine Vorlesungen waren in großen Auditorium, aber, wie bereits bemerkt, auch dieses bot nicht Raum genug. Sein Haus war stets ein Sammelpunkt von Studenten, aber auch von Professoren und Geistlichen, wie Strauß, Twesten, Schelling, Ritter, Ranke un auch dem Helden der deutschen Kanzel, Krummacher.

So lebte und lehrte Neander in Berlin, indem er noch in der späteren Zeit seines Lebens eine Probe seiner Geduld gab, da er in den letzten Jahren fast gänzlich erblindete. Kein Murren, kein Ton der Klage kam über seine Lippen. Aber auch seine Pflicht erfüllte er noch treulich, und sogar am letzten Tage diktierte er für den letzten Band seiner Kirchengeschichte. Am 14 Juli 1950 war es. Am späten Abend sagte er zu seiner Schwester: “Ich bin müde, komm, laß uns nach Hause gehen!” Einige Stunden darauf war es ihm vergönnt, seinen Pilgerlauf zu beschließen und zu seines Herrn Freude einzugehen in seine himmlische Heimat, in des Vaters Haus. Wieviele werden ihm da entgegengekommen sein, um ihn zu danken, daß er sie zum ewigen Leben geführt hatte.

Seine sterbliche Hülle ruht auf dem Jerusalemer Kirchhof in Berlin. Die Leichenreden hielten under andere Dr. Strauß und Dr. Krummacher. Dieser nannte ihn “einer der edelsten der Edelmänner im Reiche Gottes, einen Fürsten in Zion, den jüngsten der Kirchenvater, von dem gesagt werden kann, wie von Johannes: “Dieser Jünger stirbt nicht.”

 


 

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