Das Zeichen des Jona

„Als aber die Volksmenge sich herzu drängte, fing er an zu sagen: Dieses Geschlecht ist ein böses Geschlecht; es begehrt ein Zeichen, und ein Zeichen wird ihm nicht gegeben werden als nur das Zeichen des Jona. Denn wie Jona den Niniviten ein Zeichen war, so wird es auch der Sohn des Menschen diesem Geschlechte sein. Die Königin von Süden wird im Gericht mit den Männern dieses Geschlechtes auftreten und sie verurteilen; denn sie kam von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören, und siehe, hier ist mehr als Salomo. Die Männer von Ninive werden im Gericht mit den Männern dieses Geschlechtes auftreten und es verurteilen; denn sie taten Buße auf die Predigt des Jona hin, und siehe, hier ist mehr als Jona” (Lukas 11,29-32)

Es war die prophetische Bestimmung und der Zweck des jüdischen Volkes, ein Licht für alle Völker zu sein und die Kenntnis über Gott zu den Enden der Erde zu tragen. Gott hatte versprochen, Abraham zu segnen, so dass er zum Segen werden würde, nämlich dass alle Völker der Erde durch seinen Nachkommen gesegnet würden (1. Mose 22,18).

Vor dieser Verantwortung haben sich Generationen von Juden gedrückt und haben den Auftrag verachtet – und viele haben, weil sie von Rassenstolz befangen waren, es vorgezogen, einer exklusiven Beziehung mit JHWH (dem HERRN) nachzustreben. Einige mögen sogar gewünscht haben, dass Heiden entweder unterworfen oder vernichtet werden sollten, anstatt sie zu bekehren! Und viele andere waren oder sind immer noch total gleichgültig – „lauwarm!”

Jona ist eine prophetische Symbolfigur, welche die jüdische Nation darstellt. Sein Name bedeutet „Taube”. Es ist ein allegorischer Name, den Gott gebraucht, um Israel in seiner Dickköpfigkeit und seinem Stolz zu beschreiben.

„Wider Israel zeugt offen sein Hochmut, und doch sind sie nicht umgekehrt zu dem Herrn, ihrem Gott, und trotz allem haben sie ihn nicht gesucht. Ephraim ist geworden wie eine Taube, eine einfältige, ohne Verstand” (Hosea 7,10-11).

Der Soncino-Kommentar sagt in seiner Einführung zum Buch Jona: „Gemäß der allegorischen Interpretation ist Jona der Vertreter von Israel…….Wie Jona so flieht auch Israel vor der Pflicht, die Gott ihm auferlegt hat, und so wie das Volk drückt auch Jona einen Unwillen aus, dass Gott irgendein anderes Verhängnis für die Heiden haben könnte, außer einer Vernichtung.” 8

Paulus bezeugt dem Volk Israel zur Zeit der Apostel die gleiche Haltung:

„….indem sie, um das Maß ihrer Sünden jederzeit voll zu machen, uns zu wehren, zu den Heiden zu reden, damit sie gerettet werden. Doch das Zorngericht ist endgültig über sie gekommen” (1.Thessalonicher 2,16).

Die gleiche Gegnerschaft war später die Ursache, dass Paulus aus Jerusalem vertrieben wurde (siehe Apg. 22, 21-22).

Die Beauftragung Jonas, nach Ninive zu gehen, tritt in den ersten Versen des Buches zu Tage:

„Und es erging das Wort des HERRN an Jona, den Sohn Amitthais: Auf, gehe nach Ninive, der großen Stadt, und predige wider sie; denn ihre Bosheit ist vor mich gekommen. Aber Jona machte sich auf, aus dem Angesichte des HERRN hinweg nach Tharsis zu fliehen, und ging nach Joppe hinab. Da fand er ein Schiff, das nach Tharsis fuhr. Er bezahlte den Fahrpreis und stieg ein, um mit nach Tharsis zu fahren, hinweg aus den Augen des HERRN”
(Jona 1, 1-3).

Ninive wird beschrieben als die große Stadt. In Kapitel 3 erkennen wir, dass es drei Tage brauchte, um die Stadt von einem Ende zum anderen zu durchqueren. Aber in den Augen Gottes bestand ihre Größe in der großen Bevölkerung, einer Bevölkerung, die bald unter Seinen Zorn kommen sollte, und für immer für Ihn verloren sein würde (Jona 4, 11).

Der offensichtliche Wunsch Gottes war es gewesen, Jona nach Ninive zu senden, damit die Stadt wegen all dem Bösen in ihr Buße tun und sich zu Ihm wenden sollte. Gerade so wie Jona als ein prophetisches Symbol für die Juden gesehen werden kann, so muss die Beauftragung, nach Ninive zu gehen, auch als das Anliegen Gottes für die Völkerfamilie als Ganzes gesehen werden.

Buße zu tun, sich von den Sünden abzuwenden, ist immer das Verlangen Gottes, wie wir in Hesekiel 33,11 lesen können:

„Sprich zu ihnen: So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr, ich habe nicht Wohlgefallen am Tode des Gottlosen, sondern daran, dass sich der Gottlose von seinem Wandel bekehre und am Leben bleibe. Bekehrt euch, bekehrt euch von eurem bösen Wandel! Warum wollt ihr denn sterben, Haus Israel?”

Es ist genau diese Botschaft, die Gott beharrlich während einer Zeit von 150 Jahren Israel mitteilen ließ, die aber von der Mehrheit des Volkes mit der gleichen Beharrlichkeit zurückgewiesen wurde. Jona selbst hatte den Juden zuerst schon prophezeit, bevor er seine Rettungsmission in Ninive begann (2. Könige 14,25).

Ninive war die Hauptstadt von Assyrien, und gemäß dem Soncino wurde Ninive erwählt, „um den Kontrast zu betonen……..die Assyrer waren die bittersten Feinde Israels, und doch hat Gott sich um sie gekümmert.” 9

Dieser Kontrast tritt noch stärker hervor, wenn man das unmittelbare Schicksal Ninives, das ja aufgrund des Erbarmens Gottes vor der Zerstörung bewahrt wurde, mit dem Schicksal Jerusalems vergleicht, jener anderen „großen Stadt” (Offenbarung 11,8), die von den hebräischen Propheten seit jener Zeit eine Hure genannt wurde (Jesaja 1,21), die mit Sodom und Gomorra in Verbindung gebracht wurde (Jes. 1,10), und die, kurz nach Jonas erfolgreicher Mission in Ninive, von den Babyloniern überrannt und zerstört wurde

„Aber Jona machte sich auf, aus dem Angesichte des Herrn (JHWH) hinweg nach Tarsis zu fliehen (Jona 1,3), um der Erfüllung des Auftrags aus dem Weg zu gehen, aber nicht aus Angst vor den Niniviten (siehe Jona 4,2).

Jona hatte erkannt, dass sein Auftrag einen Erlösungszweck hatte. Wenn die Proklamation nur eine Vorhersage gewesen wäre, hätte sie auch genau so gut im Lande Israel gemacht werden können. Die Tatsache, dass Jona nach Ninive gehen und seinen Einwohnern die Vernichtung ankündigen musste, konnte nur bedeuten, dass Gott wünschte, ihnen eine Gelegenheit zu geben, um Buße zu tun und erlöst zu werden.10

Aber Gott wollte Seinen Wunsch für Niniveh nicht durch Jonas Trotz vereitelt wissen. Die dramatischen Ereignisse, die nach der Flucht Jonas folgten – das Schiff gerät in den schweren Sturm und die wundersame Befreiung nach drei Tagen und drei Nächten in dem Bauch des Fisches – geben davon Zeugnis. Und nicht weniger würde Gott sich erweichen lassen, von Seinem Plan der Errettung der Heiden abzulassen, weil das ethnische Israel darin versagt hatte, seiner prophetischen Rolle treu zu bleiben und sie auszuführen.

Als Jesus den Beginn des messianischen Zeitalters ankündigte, rief Er Israel zur Buße auf.
„Von da an begann Jesus zu predigen: Tut Buße, denn das Reich der Himmel ist genaht” (Matthäus 4,17).

Wie vorher schon bei Jona, wurde dieser Aufruf „ den Juden zuerst” gemacht – aber dieses Mal mit größerer Dringlichkeit. Das Reich Gottes war nahe gekommen, und nur diejenigen, die über ihre Sünden Buße taten, waren berechtigt, ins Reich Gottes zu gelangen.

„Und kommen wird der Erlöser für Zion und die vom Abfall Bekehrten in Jakob, spricht der Herr (JHWJ)” (Jesaja 59,20; Römer 11,26).

Wie bei den früheren Generationen Israels, wurde die Botschaft meistens abgelehnt.

„Jerusalem, Jerusalem, das die Propheten tötet und die steinigt, die zu ihm gesandt sind, wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, und ihr habt nicht gewollt!” (Matthäus 23,27)

Aber Jesus ist nicht nur als Messias und Erlöser Israels gekommen. Er ist auch gekommen, um Abrahams prophetischen Zweck zu erfüllen, damit alle Völker der Erde durch den einen Nachkommen Abrahams gesegnet würden. So hat der HERR (JHWH) auch durch Jesaja gesprochen:

Zu wenig ist es, dass du mein Knecht sein solltest, nur um die Stämme Jakobs aufzurichten und die Geretteten Israels zurückzubringen; so will ich dich denn zum Lichte der Völker machen, dass mein Heil reiche bis an das Ende der Erde” (Jesaja 49,6):

Als Jesus beschloss, den unbußfertigen Pharisäern kein Wunderzeichen zu geben, außer dem Zeichen des Propheten Jona, da waren die unmittelbaren Grundzüge des Zeichens: dass Jesus in einen gewissen Tod dahin gegeben würde wie bei Jona auch (Jona 1,4), dass Gott in übernatürlicher Weise eingreifen und in übernatürlicher Weise Jesus am dritten Tag von den Toten auferwecken würde.

„Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauche des Meerungetüms war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte im Schoß der Erde sein” (Matthäus 12,40).

Aber das Zeichen des Jona schloss auch schon Ereignisse ein, die nach der Auferstehung Jesu geschahen.

Die drei Tage und drei Nächte im Bauch des Meerungetüms gingen der Vollendung der Mission des Jona an Ninive voraus. (Erst nach „der Auferstehung des Jona” hat die gute Nachricht die Heiden erreicht und veranlasste deren Buße und Errettung.)

Während Jesus in Seinem natürlichen Leben klar ausgesagt hatte, dass Er nur zu „den verlorenen Schafen Israels” gekommen war (Matthäus 15,24), sandte Er das Evangelium nach Seiner Auferstehung „an alle Völker und bis an die Enden der Erde” (Matthäus 28,19; Apg. 1,8). Diese Mission begann, als Petrus aus Joppe in das Haus des Cornelius gerufen wurde – der gleichen Hafenstadt, aus der Jona nach Tarschich geflohen war.

Eine klare Folgerung aus dem „Zeichen des Jona” war, dass die Heiden wiederum das Angebot der Errettung annehmen würden, was die Juden abgelehnt hatten. Der Neue Bund bezeugt die weitreichende Buße, die folgte, und die Bereitschaft unter den Heiden, Glauben zu zeigen und sich retten zu lassen .

„Und Paulus und Barnabas sagten freimütig: Euch zuerst musste das Wort Gottes verkündigt werden; da ihr es von euch stoßt und euch des ewigen Lebens selbst nicht für würdig achtet, siehe, so wenden wir uns zu den Heiden. Denn so hat uns der Herr geboten: Ich habe dich zum Licht der Heiden gesetzt, damit du zum Heil gereichest bis an das Ende der Erde. Als es aber die Heiden hörten, freuten sie sich und priesen das Wort des Herrn; und so viele zum ewigen Leben bestimmt waren, wurden gläubig” (Apg. 13,46-48).

Auch mit der Buße der Heiden war das Zeichen des Jona noch nicht ausgeschöpft. Denn so wie Jona die Zerstörung Ninives innerhalb von vierzig Tagen angekündigt hatte, so hat Jesus die Zerstörung Jerusalems innerhalb jener Generation angekündigt, die analog zu 4. Mose
14,34 eine Periode von vierzig Jahren ist.

So wie „die Männer von Ninive im Gericht mit diesem Geschlecht auftreten und es verurteilen würden” (Matthäus 12,41), so würden auch solche aus den Heidenvölkern, die dem Wort Gottes geglaubt haben, als ein Zeugnis gegen solche Juden auftreten, die ihre Herzen gegen Gottes Angebot der Barmherzigkeit und Errettung verhärtet hatten.

Wie in der Zeit des Jona würde wiederum die Errettung von Heiden als ein Zeichen der Vorbedeutung von Jerusalems bevorstehender Zerstörung dienen. Am Ende der Jonageschichte finden wir den Propheten auf der Ostseite der Stadt, wo er Gottes Mitleid und Vergebung betrauert.

Der zeitliche Trost, der ihm in diesem Zustand gespendet wird, ist gemäß den meisten Übersetzungen ein Kürbis oder eine Rebe. Das Verdorren dieses Gewächses soll als eine gemeine Lektion für diejenigen sein, die ihrem eigenen Wohlergehen die größte Wichtigkeit beimessen, während sie sich weigern, an Gottes Empfindungen über den Verlust einer entfremdeten Menschheit und an des Vaters Verlangen nach Versöhnung mit Seinen verirrten Kindern teilzuhaben.

Im Falle der Juden lässt dieses Gewächs, „um das du doch keine Mühe gehabt und das du nicht großgezogen hast, der in einer Nacht geworden und in einer Nacht verdorben ist” (Jona 4,10), eine indirekte Bezugnahme auf ihr hochgeschätztes Land sein.

„Und ich gab euch ein Land, um das ihr euch nicht abgemüht, und Städte, die ihr nicht gebaut und doch zum Wohnsitz bekommen habt; ihr esset von Weinbergen und Ölbäumen, die ihr nicht gepflanzt habt” (Josua 24,13).

Der Ostwind nimmt Bezug auf das Gericht, das kommen würde (siehe Jesaja 27,8); aber es repräsentiert ein Gericht, das aussiebt, wie damals der Wind zur Erntezeit, der den Weizen von der Spreu trennte.

Hesekiel trauerte um eine Rebe, die der Ostwind ausdörrte und in Gefangenschaft versetzte.
„Deine Mutter war gleich einer Rebe im Weinberg, an Wassern gepflanzt, voller Früchte und Zweige von dem vielen Wasser. Und es wuchs daran ein mächtiger Ast zu Herrscherstäben, und hoch ward sein Wuchs zwischen den Ranken, weithin sichtbar durch seine Höhe, durch die Fülle seiner Zweige. Da ward sie im Grimm ausgerissen, zu Boden geworfen; der Ostwind dörrte sie aus, abgerissen ward ihre Frucht; es verdorrte ihr mächtiger Ast, und Feuer fraß ihn. Und jetzt ist sie in die Wüste gepflanzt, in dürres, durstiges Land” (Hesekiel 19,10-13).

Nach der jüdischen Bar Kochba Rebellion (135 n.Chr.) würde so der schließliche Verlust des Landes, an das sich die untreuen Übriggebliebenen aus Israel als ihre Versicherung von Gottes Segen und Gunst so zäh geklammert hatten, die beabsichtigten erstaunlichen Parallelen vervollständigen, und würden für alle Zeiten das Zeichen, das Jesus erwählte, bestätigen, dass Er in der Tat der Messias, der Herr und der König ist!

8 The Twelve Prophets, (Die Zwölf Propheten) Soncino Press, London, 1959. A. Cohen, ed., p. 137.
9 Ob. Cit., p. 138